Marga Spiegel

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Marga Spiegel
Vorname/n Marga
Nachname Spiegel
geb. Rothschild
Geburtsdatum 21.06.1912
Geburtsort Oberaula
Todesdatum 11.03.2014
Todesort Münster

Marga Spiegel (* 21. Juni 1912 in Oberaula als Marga Rothschild; † 11. März 2014[1] in Münster) war eine |deutsche Überlebende des Holocaust. Die Jüdin tauchte mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter von 1943 bis 1945 bei katholischen Bauern im Münsterland unter und entging so der drohenden Deportation. Über diese Zeit veröffentlichte Spiegel unter anderem 1969 ein Buch, das 2009 verfilmt wurde.

Leben

Kindheit und Ausbildung

Marga Spiegel wurde als Tochter von Siegmund Rothschild (1882–1938) und dessen Ehefrau Cilly (1888–1937; Geburtsname: Rosenstock) geboren und entstammte einer Landjudenfamilie aus Nordhessen. Ihre Kindheit verbrachte sie mit ihren Eltern und ihrer acht Jahre jüngeren Schwester Inge Johanna (* 1921; auch nur Johanna genannt)[2] in dem hessischen Dorf Oberaula, wo ihre Großeltern eine Färberei besaßen und sie die Schule besuchte. Von 1920 bis 1922 ging Marga Rothschild in die Privatschule von Adele Dippel in Oberaula und wechselte 1924 auf ein Lyzeum in Bad Hersfeld.

Im Jahr der „Machtergreifung“ der|Nationalsozialisten legte Rothschild auf einem Gymnasium in Frankfurt am Main ihr Abitur ab. Danach begann sie ein Physik- und Mathematikstudium an der Philipps-Universität Marburg. Als Tochter eines jüdischen Kriegsteilnehmers konnte sie sich zwar immatrikulieren, musste aber aufgrund ihrer jüdischen Herkunft das Studium bereits nach dem zweiten Semester abbrechen.[3] Ihre Familie war zunehmend antisemitischen Diskriminierungen ausgesetzt. Anfang der 1930er Jahre zählte Oberaula circa 1200 Einwohner, darunter 21 jüdische Familien.[4] 1936 wurde sie auf Basis eines erfundenen Vorwurfs eines Oberaulaner Mitbürgers verhaftet und mehrere Tage im Gefängnis inhaftiert.

Familiengründung und antisemitische Verfolgung

Im Januar 1937 heiratete Rothschild den 13 Jahre älteren Pferdehändler Siegmund Spiegel, dessen Namen sie annahm, und zog zu ihm nach Ahlen. Hier lebten sie auf der Ostbredenstrasse 41, wo im Januar 1938 auch ihre Tochter Karin Spiegel zur Welt kam. Die jüdische Familie von Siegmund Spiegel gehörte dem mittleren und gehobenen Bürgertum an und war seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Ahlen heimisch.[5] Im März desselben Jahres verstarb Spiegels Mutter an einer Herzerkrankung, während der Vater, in der Vergangenheit mehrfach in „Schutzhaft“ genommen, zur Tochter nach Ahlen zog. 1938 wurde die gemeinsame Tochter Karin geboren. Auch in Ahlen war Marga Spiegels Familie Diskriminierungen ausgesetzt; so wurde laut eigenem Bekunden der Kinderwagen ihrer Tochter mit Steinen beworfen.[6] Zwei Schwestern ihres Ehemannes emigrierten in dieser Zeit in die USA. Im Juni 1938 wurde Spiegels Vater verhaftet und in das KZ Oranienburg oder KZ Sachsenhausen deportiert, nachdem er sich um eine Bürgschaft für eine Ausreise aus Deutschland bemüht hatte. Er starb einen Monat später im Konzentrationslager.[7]

Bei den Novemberpogromen wurden die Spiegels in ihrer Wohnung von fünf Ahlener SA-Männern überfallen und misshandelt. 1940 floh Marga Spiegel mit ihrer Familie nach Dortmund, wo diese mit mehreren anderen jüdischen Familien in ein Judenhaus und später in eine Baracke nach Ahlen umzogen. Im Oktober 1941 wurde ihre Schwester Inge Johanna, verheiratet mit Leo Spiegel aus Ahlen, von Essen aus in den Osten deportiert. Sie soll über Łódź ins KZ Auschwitz verbracht worden sein, wo sie laut dem Auschwitz-Überlebenden Josef Ryback ermordet wurde.[8][9] Marga Spiegels Ehemann hatte währenddessen eine Stelle bei der Dortmunder Firma Sommer bekommen, die Zechentürme entrostete. Er nutzte seine alten Kontakte als Pferdehändler und lieh sich bei einem befreundeten Bauern ein Fahrrad. Damit fuhr er nahe gelegene Höfe ab und organisierte zusätzliche Lebensmittel für seine Familie. Von einem ansässigen Bauern soll Spiegels Ehemann von Massakern an Juden in Polen erfahren haben, woraufhin er sich um Zusagen für Versteckmöglichkeiten bemühte.[6]

Zeit im Untergrund und Veröffentlichung ihrer Überlebensgeschichte

Im Februar 1943 erhielt Spiegels Ehemann eine Einberufung zur Kontrolle seiner Arbeitspapiere, woraufhin die Familie eine Deportation befürchtete. Die Spiegels flüchteten daraufhin zu katholischen Bauern ins südliche Münsterland, wo die Eheleute getrennt voneinander Unterschlupf erhielten. Marga Spiegel und ihre Tochter verbrachten mehrere Monate als Dortmunder Ausgebombte „Margarete“ und „Karin Krone“ in verschiedenen Verstecken. Gelegentlich kam es zu gemeinsamen Treffen der Familie. Im Oktober 1944 fuhr Spiegel nach Münster und beschaffte sich dort, gegen den Willen ihres Ehemanns, falsche Papiere. 27 Monate lang gelang es den Bauern, darunter Heinrich Aschoff, die jüdische Familie vor der Deportation zu bewahren, ehe im April 1945 die Alliierten das Münsterland erreichten.

Nach Ende des Krieges kehrte Marga Spiegel mit ihrer Familie nach Ahlen zurück. Aus den Großfamilien Rothschild und Spiegel hatten 37 Mitglieder den Holocaust nicht überlebt. Insgesamt überlebten 550 bis 600 westfälische Juden den Holocaust, nachdem 1933 noch 18.819 „Glaubensjuden“ gezählt worden waren.[10] Von den Deportierten aus Ahlen hatten nur drei Männer (Imo Moszkowicz sowie Josef und Hermann Ryback) überlebt.[8] Siegmund Spiegel, der eine Emigration ins Ausland ablehnte,[6] baute einen neuen Pferdehandel auf, und es wurde ein weiterer Sohn, Daniel, geboren. Beide Kinder übersiedelten später in die Vereinigten Staaten. Spiegels Tochter ist mittlerweile verstorben.[6]

Im September 1945 wurde Strafanzeige gegen die sechs Hauptbeteiligten der Ahlener Novemberpogrome gestellt. Nach mehreren Verhandlungen wurden jedoch die ehemaligen Angehörigen der Ahlener SA im Oktober 1949 freigesprochen und nur einer wegen einfachen Landfriedensbruches zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, gegen die erfolgreich Revision eingelegt wurde.[11] 1964/65 zeichnete Spiegel ihre Erinnerungen an das Untertauchen auf, die erstmals zwischen Januar und Mai 1965 in 17 Folgen in der münsterischen Bistumszeitung Kirche und Leben veröffentlicht wurden. 1969 erschien ihr „Tatsachenbericht“ unter dem Titel Retter in der Nacht in Buchform und gilt heute als wichtige Quelle für die Geschichte der westfälischen Juden zur Zeit des Holocaust.[12] Im selben Jahr wurden die Bauernfamilien, die die Spiegels versteckt hatten, durch den israelischen Botschafter in Deutschland, Asher Ben-Natan, als Gerechte unter den Völkern geehrt.[13]

Verfilmung und Ehrungen

Nach dem Tod ihres Ehemanns im Jahr 1982[14] zog die Tante des 2006 verstorbenen Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, nach Münster, wo sie die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte. Ihr Buch Retter in der Nacht wurde mehrfach aufgelegt und nachträglich um ihre Zeit in Oberaula und Hersfeld und Reflexionen über ihr Schicksal und den Holocaust ergänzt. 2009 wurde der autobiografische Roman von Ludi Boeken unter dem Titel Unter Bauern – Retter in der Nacht mit Veronica Ferres und Armin Rohde in den Hauptrollen verfilmt. Der Spielfilm, der seine erfolgreiche Uraufführung Anfang August 2009 beim Filmfestival von Locarno feierte,[15] gelangte Anfang Oktober 2009 in die deutschen Kinos.

Gemeinsam mit unter anderem Jenny Aloni, Benno Elkan, Benno Jacob, Imo Moszkowicz und Jeanette Wolff ist Spiegel seit 2004 die Dauerausstellung Jüdische Lebenswege im Jüdischen Museum Westfalen gewidmet, in der das Judentum in Westfalen vom frühen Mittelalter bis in die heutigen Tage anhand von Biografien nachgezeichnet wird.[16] Seit 2005 war sie Ehrenmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.[17]

Für ihren „unermüdlichen Einsatz als Zeitzeugin“ erhielt Spiegel am 19. Juli 2010 das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.[17]

In Werne wurde 2012 eine Sekundarschule nach Spiegel benannt,[18] welche sie im Juli 2013 im Beisein von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft besuchte.[19]

2013 erhielt Marga Spiegel den Ehrenpreis der Stiftung Cinema for Peace.[20] Am 7. November 2013 wurde sie mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet.[21]

Publikationen

  • Retter in der Nacht. Wie eine jüdische Familie in einem münsterländischen Versteck überlebte. Herausgegeben und kommentiert von Diethard Aschoff, 7. Auflage, Lit Verlag, Münster / Berlin 2009, ISBN 978-3-8258-3595-8.
  • Bauern als Retter. Wie eine jüdische Familie überlebte. Mit einem Vorwort von Veronica Ferres, 2. Auflage, Lit, Münster / Berlin 2009, ISBN 978-3-8258-0942-3.

Filme

  • Unter Bauern – Retter in der Nacht. Deutschland/Frankreich 2009. Regie: Ludi Boeken, Spielfilm 95 Minuten
  • Eine Herzenssache. Marga Spiegel und ihre Retter. Deutschland 2010, Regie: Petra Seeger, WDR-Dokumentarfilm 45 Min. DVD-Edition LWL-Medienzentrum für Westfalen 2014

Weblinks

Einzelnachweise

Quelle des Artikels: http://de.wikipedia.org/wiki/Marga_Spiegel

  1. http://www.wn.de/Mobil-Home/Zeugin-der-Nazi-Graeuel-Marga-Spiegel-ist-tot
  2. Marga Spiegel: Retter in der Nacht: wie eine jüdische Familie im Münsterland überlebte. Münster [u.a.]: Lit, 1999 (Geschichte und Leben der Juden in Westfalen; 3). – ISBN 3-8258-3595-2. S. 181.
  3. Marga Spiegel: Retter in der Nacht: wie eine jüdische Familie im Münsterland überlebte. Münster [u.a.]: Lit, 1999 (Geschichte und Leben der Juden in Westfalen; 3). – ISBN 3-8258-3595-2. S. 61.
  4. Marga Spiegel: Retter in der Nacht: wie eine jüdische Familie im Münsterland überlebte. Münster [u.a.]: Lit, 1999 (Geschichte und Leben der Juden in Westfalen; 3). – ISBN 3-8258-3595-2. S. 46.
  5. Marga Spiegel: Retter in der Nacht: wie eine jüdische Familie im Münsterland überlebte. Münster [u.a.]: Lit, 1999 (Geschichte und Leben der Juden in Westfalen; 3). – ISBN 3-8258-3595-2. S. 36–37.
  6. 6,0 6,1 6,2 6,3 vgl. Interview bei wdr.de, 1. Oktober 2009 (aufgerufen am 4. Oktober 2009).
  7. Marga Spiegel: Retter in der Nacht: wie eine jüdische Familie im Münsterland überlebte. Münster [u.a.]: Lit, 1999 (Geschichte und Leben der Juden in Westfalen; 3). – ISBN 3-8258-3595-2. S. 86.
  8. 8,0 8,1 Marga Spiegel: Retter in der Nacht: wie eine jüdische Familie im Münsterland überlebte. Münster [u.a.]: Lit, 1999 (Geschichte und Leben der Juden in Westfalen; 3). – ISBN 3-8258-3595-2. S. 90.
  9. Marga Spiegel: Retter in der Nacht: wie eine jüdische Familie im Münsterland überlebte. Münster [u.a.]: Lit, 1999 (Geschichte und Leben der Juden in Westfalen; 3). – ISBN 3-8258-3595-2. S. 206.
  10. Marga Spiegel: Retter in der Nacht: wie eine jüdische Familie im Münsterland überlebte. Münster [u.a.]: Lit, 1999 (Geschichte und Leben der Juden in Westfalen; 3). – ISBN 3-8258-3595-2. S. 4–5.
  11. Marga Spiegel: Retter in der Nacht: wie eine jüdische Familie im Münsterland überlebte. Münster [u.a.]: Lit, 1999 (Geschichte und Leben der Juden in Westfalen; 3). – ISBN 3-8258-3595-2. S. 39.
  12. Marga Spiegel: Retter in der Nacht: wie eine jüdische Familie im Münsterland überlebte. Münster [u.a.]: Lit, 1999 (Geschichte und Leben der Juden in Westfalen; 3). – ISBN 3-8258-3595-2. S. 10.
  13. Marga Spiegel: Retter in der Nacht: wie eine jüdische Familie im Münsterland überlebte. Münster [u.a.]: Lit, 1999 (Geschichte und Leben der Juden in Westfalen; 3). – ISBN 3-8258-3595-2. S. 16.
  14. Marga Spiegel: Retter in der Nacht: wie eine jüdische Familie im Münsterland überlebte. Münster [u.a.]: Lit, 1999 (Geschichte und Leben der Juden in Westfalen; 3). – ISBN 3-8258-3595-2. S. 204.
  15. Peter Claus: Deutsches Kino glänzt am Lago Maggiore. In: Die Welt, 10. August 2009, S. 25.
  16. „Jüdische Lebenswege“ zeichnen 1000 Jahre Geschichte nach. In: Saarbrücker Zeitung, 9. Januar 2004 (abgerufen 4. Oktober via Wiso praxis).
  17. 17,0 17,1 vgl. ddp Basisdienst: Autorin Marga Spiegel mit Bundesverdienstkreuz geehrt. 19. Juli 2010, 4:32 PM GMT.
  18. Erste Sekundarschule in Werne: Erster Schultag für die Marga-Spiegel-Schule bei wa.de, 22. August 2012 (abgerufen am 23. August 2012).
  19. Bewegende Momente mit 101-jähriger Marga Spiegel bei bei wa.de mit Video, 4. Juli 2013
  20. Holocaust-Überlebende Marga Spiegel wurde auf der „Berlinale“ geehrt In: Westfälische Nachrichten, abgerufen am 22. Februar 2013.
  21. Westdeutsche Zeitung vom 7. November 2013